Pferdemarkt in Wehlau

Der erste urkundliche Nachweis eines Pferdemarktes in Wehlau stammt aus dem Jahr 1613. Damals befand sich der Markt auf dem Platz vor dem Allentor (Alletor), neben dem Kloster, wo Herzog Albrecht Wehlau 1561 die Stadtrechte verlieh. Doch der Platz reichte nicht aus und 1712 wurde der Pferdemarkt vom allgemeinen Stadtmarkt getrennt und auf den Rossmarkt am gegenüberliegenden Ende der Wehlau, an den heutigen Zusammenfluss von Pregolya und Lava, verlegt.

Bald war auch dort nur noch wenig Platz. Daher wurde der Pferdemarkt erneut verlegt, nun südlich der Jakobskirche, auf die Wiesen zwischen Schanze und Parkstraße (heute Tschernjachowski-Straße). Seit 1896 hat sich der Pferdemarkt in Wehlau zum größten Europas entwickelt. Anfang Juli eines jeden Jahres waren mindestens 9.000 (einigen Quellen zufolge 20.000) Pferde und 3.000 Rinder auf dem Markt. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden Pferde auf dem Markt verkauft, auch solche aus Russland. Der Markt dauerte 8 Tage. Die Käufer kamen nicht nur aus Ost- und Westpreußen, sondern auch aus dem Ausland – Österreich, Dänemark, Schweden, Serbien.

 

Pferdemarkt in Wehlau Wehlau Welt Großer Pferdemarkt 1909
Postkarte mit dem Pferdemarkt in Wehlau. Die Signatur auf der Vorderseite besagt, dass dieser Markt der größte der Welt ist. 1900er Jahre.

 

Traditionell wurde der Pferdekauf mit einem Händedruck und einem Glas Schnaps begleitet. Während der gesamten Öffnungszeit des Pferdemarktes herrschte in Wehlau reges Treiben. Die Gastwirte rechneten mit den Gewinnen aus dem Verkauf von Bier und Schnaps, die Bürger mit den gemieteten Zimmern und die Stadt mit den Gebühren für das Gewerberecht.

 

Pferdemarkt in Wehlau 1942
Postkarte. Die Inschrift auf der Vorderseite: Der größte Pferdemarkt in Wehlau. 1942 (laut Poststempel).

 

So beschrieb ein Anwohner den Pferdemarkt in Wehlau:

 

 

Alte Nörgler bekamen Schnaps

 

Wehlau war berühmt für den größten Pferdemarkt Europas. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert blieb Ostpreußen eine landwirtschaftlich geprägte Region. Aber auch später aufkommende Traktoren konnten Pferde nicht vollständig aus dem Alltag verdrängen. Und die Pferderasse Trakehner ist bis heute ein klarer Beweis dafür.

 

Pferdemarkt in Wehlau 1934
Pferdemarkt in Wehlau. 1934 (laut Poststempel).

 

Die gesamte Bevölkerung Ostpreußens bereitete sich das ganze Jahr über auf den alljährlichen Pferdemarkt vor, der stets am ersten Montag im Juli begann. Am Sonntag waren alle Eingänge nach Wehlau, alle umliegenden Wiesen und Felder, alle Straßen der Stadt mit Pferden, Menschen und Autos verstopft. Für Autos wurden spezielle Parkplätze eingerichtet.

 

Der Auftrieb zum Pferdemarkt durch Wehlaus Strassen
Während des Marktes waren die Straßen von Wehlau voller Menschen und Pferde. 1930er Jahre. Quelle: Website der Kreisgemeinschaft Wehlau, www.kreisgemeinschaft-wehlau.de.

 

Am Montag landeten alle Pferde auf einer Weide südlich der Schanze, wo die Stadt zuvor Anlegestellen und Tränken für die Pferde aufgestellt hatte. Jedes Pferd (wie auch jedes Auto) erhielt eine Sondersteuer, die an die Stadtkasse ging. Viel Geld floss in die Staatskasse, wenn man bedenkt, dass 1939 beispielsweise 16.000 Pferde auf dem Markt ausgestellt wurden. Alle Pferde auf dem Markt wurden von Tierärzten untersucht. Vom Schauplatz des Geschehens berichtete Radio Königsberg live ins In- und Ausland. Die Vorträge wurden von dem aus Wehlau stammenden Role Rosengart geleitet, der im ostpreußischen Dialekt scherzte und die Zuhörer unterhielt.

 

Pferdemarkt in Wehlau_1930er Jahre
Trotz seiner Größe war der Markt vorbildlich organisiert. 1930er Jahre. Quelle: Bildarchiv.

 

Auf dem Markt selbst war alles in bester Ordnung, Auto für Auto, Karren für Karren, Pferd für Pferd. Bis 1933 gab es auf dem Markt eine Schießanlage. Die Zigeuner huschten umher, die Zigeuner wunderten sich. Jeder Einkauf wurde von einem kräftigen Händedruck begleitet und mit Bier und Schnaps gewürzt. In der Luft herrschte ein unaufhörliches Stimmengewirr, begleitet von den Rufen der Kaufleute und dem unaufhörlichen Wiehern der Pferde. In diesem Markttrubel donnerten Orchester in der Nähe von Cafés und Restaurants. Die Messe war in vollem Gange. Es gab alles: Achterbahnen, Zwerge, Bauchtanz und viele Attraktionen.

 

Pferdemarkt in Wehlau An der Auffahrt zum Pferdemarkt erfolgt eine kurze Untersuchung der Pferde durch die Veterinäre
Auf dem Markt arbeiteten Tierärzte und untersuchten alle Tiere. Quelle: Website der Wehlau Community.

 

Pferdemarkt in Wehlau Pferdemarkt in Wehlau 1938
Markt in Wehlau. Im Hintergrund ist ein Wasserturm zu sehen. 1930er Jahre. Quelle: Website der Wehlau Community.

 

Alle Plätze an den Tischen von Cafés und Restaurants waren besetzt. Die Ausgangssperre für die Dauer der Messe wurde aufgehoben (im Text der Polizeistunde). Es ist nicht ganz klar, um welche Jahre es sich handelt und um welche Ausgangssperre es sich handelt – vielleicht, weil die Polizei nachts nicht ihren gewohnten Eifer an den Tag legte, oder weil Betriebe erlaubt waren vorübergehend rund um die Uhr zu arbeiten - Admin ). Daher konnte man morgens Bauern und Städter sehen, die selig an Cafétischen schliefen, obwohl die meisten Händler und Käufer natürlich Häuser mieteten. Es wurden sogar Doppelbetten vermietet. Um Geld zu sparen, verbrachten einige die Nacht auf der Straße direkt neben ihren Pferden. Wer es sich leisten konnte (insbesondere Autobesitzer), übernachtete in Hotels in benachbarten Städten und sogar in Königsberg. Auch bei der Eisenbahn gab es Arbeiten. Während des Pferdemarktes wurden auch ab Berlin Sonderzüge gebildet. Und dieser ganze schöne Wahnsinn dauerte fast drei Wochen.

 

Pferdemarkt in Wehlau Nach dem Pferdemarkt der Krammarkt
Straßen der Stadt während des Marktes. 1930er Jahre. Quelle: Bildarchiv.

 

Fischfrauen und Aalhändler Wehlauer Pferdemarkt
Fischfrau. Wehlau. 1930er Jahre. Quelle: Website der Wehlau Community.

 

Elefant im Pferdemarkt
Ein Elefant auf einem Jahrmarkt in Wehlau. 1930er Jahre. Quelle: Website der Wehlau Community.

 

Beim Pferdekauf musste man ein erfahrener Fachmann sein, um sich nicht täuschen zu lassen. Die Einheimischen nannten es „ein neues Pferd machen“. Der alten Nörglerin wurden die Zähne geputzt, andere äußere Alterserscheinungen entfernt und ihr Futter mit Kalkzusatz gegeben. Eine kleine Menge Arsen ließ die Haut des Nörglers glänzen, und ein in Schnaps getunktes Stück Brot, das man ihm am Markttag verfütterte, verlieh ihm Feuer in den Augen und einen bezaubernden Charakter. Der Ort für besonders lautes Geschrei und charakteristische Komik war die Ecke, in der Bauernpferde verkauft und getauscht wurden. Die beschwipsten Bauers drängten sich seit dem Morgen zwischen den Anhängepfosten herum. Hier bleibt ein weiterer Käufer vor einem aktualisierten Nörgler stehen. Der Verkäufer, der versuchte, seine Waren bestmöglich zur Schau zu stellen, setzte seinen zehnjährigen Sohn auf ein Pferd, und um den Gaul mit einer Peitsche zu ermuntern, schlug er dem Jungen auf die nackten Knie, was ihn laut aufheulen ließ. „Warum weinst du, Kleines? Komm, zeig uns, wozu unser Hengst fähig ist!“

(Quelle: Wehlauer Heimatbrief, Nr. 60, 1998)

 

 

Pferdemarkt in Wehlau. Wehlau Pferdemarkt 1930-194x
Der Käufer prüft die Ware. 1930er Jahre. Quelle: Bildarchiv.

 

Pferdemarkt in Wehlau Pferdemarkt in Wehlau
Pferdemarkt in Wehlau. Rechts ist der Turm des Bezirksamtes – das Kreishaus – zu sehen. 1930er Jahre. Quelle: Website der Wehlau Community.

 

Pferdemarkt in Wehlau 1930er Jahre

 

 

Wehlauer_Pferdemarkt

 

 

Ein Auszug aus Alfred Rodhes Buch „Der junge Korinth*“ (Alfred Rodhe „Der junge Korinth“, Berlin, Rembrandt, 1941):

 

„Beeindruckender, kraftvoller, abwechslungsreicher und bunter war für den Teenager [Lovis Corinth] der Pferdemarkt in Wehlau. Es gab einen Nationalfeiertag, einen Familienfeiertag, aber gleichzeitig gab es auch Handel. Alles wurde in Geschäften und Kiosken auf der Schanze gekauft und verkauft, auf diesem brodelnden und lauten Jahrmarkt mit seinen Riesenfrauen, Meerjungfrauen und anderen Wundern, mit seinen Schießbuden und Kneipen, in denen dicke Kellnerinnen die betrunkene Menge bedienten. Auf dem Markt selbst wimmelte es von Pferden russischer und litauischer Herkunft sowie von Pferden berühmter preußischer Gestüte. Und sie alle wurden von bunt zusammengewürfelten Menschen aus aller Welt und besonders aus dem Osten begleitet. Ein wohlhabender Gerber aus Tapiau kam mit seiner gesamten großen Familie hierher, normalerweise auf zwei voll mit Leder beladenen Karren, und kehrte am Abend mit so vielen Einkäufen nach Hause zurück, dass sie kaum auf dieselben Karren passten.“

 

* Lovis Corinth (1858 – 1925) – deutscher Künstler, Vertreter des Impressionismus. Er wurde in Tapiau in der Familie eines Gerbers geboren und studierte am Kneiphof-Gymnasium in Königsberg und anschließend an der Königsberger Akademie der Künste.