Fahrräder in Königsberg

Vor hundert Jahren, im Jahr 1921, wurde in Königsberg der „Verein für Fahrradwege“ durch den Sportler und Unternehmer Franz Todtenhöfer gegründet. Dank dieser Organisation entstanden Fahrradwege entlang der Straßen der Stadt. Bisher sind in Kaliningrad historische Radwege nur auf der Straße erhalten geblieben. Karl Marx.

 

Fahrräder in Kaliningrad
Vorkriegsradweg auf der Straße. Karl Marx in Kaliningrad. 2021

 

Althoffs Unternehmen ist ein Pionier im Fahrradverkauf in Königsberg

Im Jahr 1881 eröffnete der Kaufmann Hermann Althof am Paradeplatz Nr. 5 einen Fahrradverkauf. Sein Geschäft befand sich im Zentrum der Stadt gegenüber dem Gebäude der Albertina-Universität (heute das Gebäude der Kant IKBFU in der Universitetskaya-Straße). Schon bald erfreute sich der neue zweirädrige Individualverkehr großer Beliebtheit bei der Stadtbevölkerung. Einige Jahre später, im Jahr 1884, entstand der Deutsche Radsport-Verband. So wurde 1886 in der Hauptstadt der Provinz Ostpreußen der Radsportverein Königsberg gegründet. Ein Jahr später (1887) wurde in Insterburg (heute Stadt Tschernjachowsk) der Radsportverein Adler eröffnet. Die daraus resultierende große Nachfrage der Königsberger Bevölkerung nach Anschaffung und Unterhalt von Fahrrädern trug zur guten Geschäftsentwicklung von Hermann Althoff bei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts eröffnete er in der Nähe des Hauses Nr. 11 Steindamm, unweit des damaligen stadtauswärts führenden Tores, eine große Fahrradausstellung und Reparaturwerkstatt. Im Jahr 1895 wurden auf der Nordöstlichen Industrie- und Handwerksausstellung in Königsberg Fahrräder von Hermann Althoff mit einer Medaille ausgezeichnet. Im Jahr 1899 gründete Hermann Althoff zusammen mit einem Unternehmer namens Politt die Königsberger Fahrradfabrik. Die Produktionsgebäude dieses Unternehmens wurden auf dem Grundstück Nr. 55 in Hufen an der Bahnstraße errichtet. Im Jahr 1901 begann die Königsberger Fahrradfabrik „Baltia“ mit der Produktion ihrer Produkte.

 

Fahrräder in Königsberg
Werbung für Hermann Alhoffs Laden. Handel mit Fahrrädern, Näh- und Strickmaschinen 1901

 

Im Kaliningrad der Nachkriegszeit wurden die Räumlichkeiten der Fahrradfabrik Baltia in ein mechanisches Reparaturwerk umgewandelt. Dieses Unternehmen war bis 2015 in Betrieb, danach wurden die Produktionsgebäude abgebaut und an ihrer Stelle vier neunstöckige Wohnhäuser in der Kosmonavta-Leonov-Straße gebaut.

 

Fahrräder in Königsberg
Das Gebäude des Kaliningrader mechanischen Reparaturwerks auf der Straße. Kosmonaut Leonow. 2009

 

 

„Polo“ – das zweite Fahrrad Königsbergs

Fahrräder in Königsberg
Polo-Fahrradtypenschild
Fahrräder in Königsberg
Polo-Fahrradtypenschild.

Im Jahr 1905 erschien eine weitere Fahrradmarke auf den Straßen Königsbergs – „Polo“, die vom Radfahrer und Unternehmer Franz Todtenhöfer ins Leben gerufen wurde. Auf der Lenksäule dieses eisernen „Pferdes“ befand sich ein Emblem (Schild), das einen Polo spielenden Reiter darstellte. Auch als Emblem dieser Fahrradmarke wurde ein schlichteres Messingschild verwendet, auf dem der Name des Inhabers Franz Todtenhöfer und die Adresse des Firmensitzes Hausnummer 16 in der Junkerstraße in Königsberg vermerkt waren.

Es lohnt sich, näher auf Franz Todtenhöfer einzugehen, eine ganz außergewöhnliche Persönlichkeit. Er wurde am 13. August 1875 in Königsberg geboren. Schon in meiner Kindheit interessierte ich mich für das Radfahren und blieb ihm mein ganzes Leben lang treu, obwohl ich beruflich oft mit dem Auto unterwegs war. Bereits während seines Studiums an der Albertina erzielte er seine ersten Erfolge im Radsport. Im Jahr 1893, im Alter von 18 Jahren, wurde Franz Ostpreußens Meister in einer der Radsportdisziplinen. Zwei Jahre später eröffnete Franz Todtenhöfer zusammen mit seinem Schwager (Ehemann der Schwester) Max Rautensperger ein Fahrradgeschäft im Haus Nr. 16 in der Junkerstraße. Möglich wurde dies dadurch, dass Franz‘ Vater jedem seiner drei Kinder damals eine große Geldsumme schenkte – 10.000 Mark.

Im Jahr 1901 wurde Todtenhöfer & Co. erstmals in den Adressbüchern von Königsberg aufgeführt. Zu dieser Zeit, noch vor Beginn der Polo-Produktion, vertrieb das Unternehmen Fahrräder von einem der ersten deutschen Fahrradhersteller, den Bielefelder Dürkopp-Werken. Neben Fahrrädern produzierte Dürkopp auch Nähmaschinen, und Franz Todtenhöfer verkaufte, wie viele seiner Zeit, in seinem Laden neben Fahrrädern auch Nähmaschinen.

Im Jahr 1897 wurden am Tennisstadion Tiergarten, im nördlichen Teil des Königsberger Zoos, Radwege angelegt.

 

Fahrräder Königsberg
„Grüße aus dem Königsberger Zoo.“ Postkarte, 1899

 

Seitdem wurden dort Radsportwettbewerbe ausgetragen. Das ist nun das Trud-Stadion auf der Straße. Tschaikowsky in Kaliningrad.

 

Fahrräder Königsberg
Radrennen im Königsberger Zoo. Postkarte. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

 

Todtenhöfer belegte bei Radsportwettbewerben in Königsberg 1898 und 1899 den 2. und 3. Platz. 1899 wurde er der erste Fahrer des Königsberger Radsportvereins (von dem es in der Stadt übrigens 16 gab) und nimmt weiterhin an Radrennen in ganz Ostpreußen teil. 1906 wurde Todtenhöfer (zweiter in Folge) zum Vorsitzenden des Königsberger Radsportvereins gewählt.

Seit 1902 begann Franz Todtenhöfer & Co. auch mit dem Verkauf von Autos der Marken Fiat, Mercedes und Opel. Im Laufe der Zeit wird das Unternehmen zum Generalvertreter des Opel-Werks für West- und Ostpreußen, Danzig und den gesamten Ostseeraum. Es ging bergauf und 1906 zog der Verein in das Haus Nr. 142/143 am Steindamm um, wo sich neben Büros und Ladenflächen auch Autowerkstätten befanden. Ebenfalls im Interessengebiet von Totdenhöfer liegt der Verkauf von Motorrädern der Marken NSU (Deutschland) und Saroléa (Belgien). Franz nimmt an den ersten NSU-Motorradrennen teil. 1904 wurde er in Kolberg (heute Kolobrzeg) zum 2. Vorsitzenden des „Verbandes Deutscher Motorradfahrer“ (DMV), dem Vorgänger des bekannten ADAC („Verband Deutscher Motorradfahrer“), auf dem Gebiet Pommerns gewählt. West- und Ostpreußen. 1914 wurde er zum Vizepräsidenten des 1905 in Königsberg gegründeten Ostdeutschen Automobilclubs gewählt. Todtenhöfer war unter anderem an der Entstehung einiger der ersten Taxis in Königsberg beteiligt, für die bereits 1913 15 Opel angeschafft wurden.

 

Fahrräder Königsberg
Werbung für den Todtenhöfer-Markt am Steindamm 142/43: „Der größte Fachmarkt: Alles fürs Auto, alles fürs Fahrrad“

 

Im Jahr 1915 wurde Franz Alleininhaber der Firma Franz Todtenhöfer & Co.

Franz Todtenhöfer, 75, mit seinem Hochrad.

1927 wurde das Unternehmen in die Aktiengesellschaft Todtenhöfer AG umgewandelt. Der Firmensitz wird nach Berlin verlegt, wo Totdenhöfer seit 1921 entweder ein Büro oder eine Filiale hatte, über die Autoteile gehandelt wurden. Dennoch bleibt Königsberg das Produktionszentrum der Unternehmensaktivitäten. Hier, am Heumarkt, entsteht eine dreistöckige Garage für 350 Autos. Unter der Garage befand sich eine Autowerkstatt. In Kaliningrad wurden die Räumlichkeiten dieser Garage zum Abstellen von Krankenwagen genutzt. Heute beherbergt das Gebäude das Einkaufszentrum Barnaulsky in der gleichnamigen Straße.

Der Todtenhöfer-Verein besaß mehrere weitere Werkstätten in Könisberg und seine Zweigstellen befanden sich in Allenstein (heute Olsztyn) und Kovno (heute Kaunas).

 

 

Mazovia – eine neue Fahrradmarke

Fahrrad Masowien
Mazovia Fahrradtypenschild

1933 registrierte Franz Todtenhöfer eine neue Fahrradmarke, Mazovia. „Mazovia“ ist der Name einer der Studentenverbindungen der Universität Albertina, der Franz Todtenhöfer angehörte. So stammten „aus der Feder“ des Unternehmers sowohl die von ihm selbst gegründeten Fahrradmarken als auch offenbar das von Althoff und Politt gekaufte „Baltia“. Neben den Fahrrädern selbst wurde auch mit diversen Komponenten dafür gehandelt: Schläuche, Reifen, Scheinwerfer, Ketten, Rahmen, Sitze, Pedale, Klingeln usw. Einige dieser Produkte wurden von Drittherstellern hergestellt, und dann „ Auf ihnen wurde die Markierung „Masowien“ angebracht. Pro Monat wurden bis zu 3.000 Fahrräder produziert.

Jedes Jahr lud Franz Todtenhofer alle Mitarbeiter seiner Organisation zu einer Radtour von Königsberg nach Groß-Heidekrug (heute Dorf Vzmorye im Stadtbezirk Swetlowski) ein. Solche Veranstaltungen endeten immer in einem Restaurant, zu dem die Familien der Mitarbeiter per Schiff kamen. Am Ende des Festes traten die Mitarbeiter und ihre Familien aus offensichtlichen Gründen die Rückreise per Schiff an.

Über das Schicksal Todtenhöfers während der Erstürmung Königsbergs und nach der Kapitulation Deutschlands liegen keine Informationen vor. Doch bereits 1946 befand sich Franz Todtenhöfer in Berlin. Trotz seines 70. Lebensjahres gründete er dort ein neues Unternehmen. In der Schillerstraße Nr. 14 war ein Laden und eine Fabrik zur Herstellung von Fahrrädern und Fahrradteilen angemeldet. In den Jahren 1952-1953 beschäftigte sich sein Unternehmen ausschließlich mit dem Großhandel mit Ersatzteilen und Zubehör für Fahrräder.

 

Franz Todtenhöfer
Vereinigte Automobilwerkstätten Todtenhöfer.

 

Franz Todtenhöfer starb am 22. März 1955 in Berlin. Dies ist die Lebensgeschichte eines Mannes, der seine kreative Karriere der Entwicklung des Radsports in Ostpreußen widmete.

 

Fahrräder in Ostpreußen
Osterode (Ostróda). 1920

 

Es bleibt hinzuzufügen, dass in vielen Städten Ostpreußens Fahrräder verkauft wurden. Sie sind auf Postkarten und zahlreichen Vorkriegsfotos zu sehen. Man kann mit Sicherheit sagen, dass die Radsporttraditionen im heutigen Kaliningrad nicht verloren gegangen sind, wie Tausende von Zweiradfans beweisen, die an der jährlichen Radtour Tour de Cranz von Kaliningrad nach Selenogradsk und zurück teilnehmen.

 

Fahrräder in Königsberg
Eine weitere Postkarte aus der Serie „Grüße aus.../Gruss aus Königsberg“. Ende des 19. Jahrhunderts. Franz Todtenhöfers Laden in der Junkerstraße. Das Display trägt die Aufschrift „Durkopp“ und der Text auf der Postkarte besagt, dass Durkopps patentierte Kurbellager unübertroffen sind.

 

Eine Postkarte mit genau der gleichen Ansicht, geschrieben am 2. Januar 1904, ist einfach mit „Junkerstraße“ signiert. Zwar schrieb der Absender „1000 Grüße aus Königsberg“.

 

Fahrräder in Königsberg
Königsberg. Paul Scharrmachers Fahrrad- und Nähmaschinenwerkstatt im Vorderrossgarten 58 (heute Klinitscheskaja-Straße, in der Nähe des ehemaligen Polizeigebäudes). 1910er Jahre.

 

Fahrräder in Ostpreußen
Rustenburg, Neuer Markt. O. Böffels Fahrrad- und Nähmaschinenwerkstatt. 1920er Jahre.

 

Fahrräder in Ostpreußen
Kreuzingen (heute Bolschakowo). Die Fahrradwerkstatt von Hugo Kummetz in der Bahnhofstraße. 1930er Jahre.

 

Fahrräder in Königsberg
Werbung für die Fabrik Althoff und Politt, die Baltia-Fahrräder herstellte. Königsberg, Steindamm 11/12.

 

Fahrräder in Königsberg
Baltia Fahrradtypenschild.

 

Fahrräder in Königsberg
Werbung für Fahrräder der Marke Torpedo und Ankündigung eines 50 km langen Radrennens auf der Strecke Königsberg - Kranz - Königsberg. Für Rennteilnehmer gibt es: 1 ersten Preis, 1 zweiten, 2 dritten und vierten Preis sowie 2 Trostpreise. Handelsvertreter von Torpedo-Fahrrädern - Fahrradhaus Königsberg. Vordere Forstadt, 35. (heute Leninsky Prospekt, südlich des Atlantiks). Zeitung „Königsberger Allgemeine Zeitung“ vom 02.05.1914.

 

Fahrräder in Königsberg
Adler-Fahrradwerbung. „Neue Modelle für die Saison 1900. Produktionsniederlassung in Königsberg am Paradeplatz 1s. Reparatur- und Fahrtraining. Inhaber: Heinrich Kleier. Zeitung „Königsberger Hartungsche Zeitung“ vom 17. Januar 1900.

 

Besitzer von Fahrradgeschäften, die Fahrräder verschiedener Marken verkauften, bestellten zu Werbezwecken Namensschilder sowie Werkzeuge und Klingeln.

 

Fahrräder in Königsberg
Typenschild des Fahrradhändlers Paschke aus Königsberg für ein Union-Fahrrad.
Fahrräder in Königsberg
Typenschild für ein Fahrrad der Marke Komet. „Ostpreußische Fahrradproduktion von P. Kloss. Königsberg, Sackheim, 57" (jetzt ist es ein 9-stöckiges Gebäude Nr. 80-90 am Moskovsky Prospekt hinter der zweiten Überführung).

 

 

 

 

 

 

 

Werbung für den Fahrradladen „Chepronat und Pashke“. Steindamm 146. Eigene Radsportschule in Hufen.“ Werbung aus dem späten 19. Jahrhundert.

 

Fahrräder in Ostpreußen
Fahrradklingel. Kaufmann Otto Grünke, Wehlau (heute Snamensk).

 

Fahrräder in Ostpreußen
Fahrradklingel. Händler Karl Petschul. Groß-Friedrichsdorf (heute Gastellowo).

 

Fahrräder in Ostpreußen
Emil Janz. Stolbeckerstraße 15, Tilsit (heute Sowetsk). Fahrräder, Kameras, Ersatzteile. Elektrische Taschenlampen. 1911

 

 

Quellen:

Krinke A. Immer am Rad gedreht. Eine Chronik der Firma Todtenhöfer AG – Der Knochenschüttler, Heft 62, 2/2016

Adressbuch der Haupt- und Residenzstadt Königsberg i. Pr. und der Vororte. 1899.

Adreßbuch der Haupt- und Residenzstadt Königsberg in Preußen und seiner Vororte für 1901.